Ich hatte das Glück, dass ich das Buch „Der Horror der frühen Chirurgie“ gewonnen habe. Der Vorgänger „Der Horror der frühen Medizin“ steht schon länger auf meiner Wunschliste. Ganz praktisch also das andere Buch zu gewinnen, um festzustellen, ob mir der Schreibstil von Lindsey Fitzharris gefällt und ich mir das andere Werk noch kaufe.

In meiner Rezension „Der Horror der frühen Chirurgie“ von Lindsey Fitzharris berichte ich euch von meinen Leseeindrücken.


 

Der Horror der frühen Chirurgie von Lindsey Fitzharris
© Umschlaggestaltung: Rothfos & Gabler, Hamburg

Infos zum Buch
erschienen beim Suhrkamp Verlag
Veröffentlicht 10. Oktober 2022
Originaltitel The Facemaker. A Visionary Surgeon’s Battle to Mend the Disfigured Soldiers of Word War I
Übersetzt von Volker Oldenburg
ca. 322 Seiten
erhältlich als Paperback, Hörbuch und eBook
 

Klappentext

Als Harold Gillies die Verheerungen des Ersten Weltkriegs mit eigenen Augen sieht, ist er schockiert. Zu viele junge Männer werden nach nur einem falschen Augenblick ihrem Schicksal überlassen: für immer entstellt, für immer Monster in den Augen der Gesellschaft. Nach seiner Rückkehr ins Königreich setzt der junge Arzt alles daran, einen Weg zu finden, um das Leiden zu verringern. Mit stetem Einsatz, vielen Verbündeten und unkonventionellen Methoden baut er die erste »Schönheitsklinik« der Welt auf und kämpft fortan gegen das Stigma einer Generation. Sein Leben wird zum Gründungsakt einer Disziplin, die unsere Gegenwart unmissverständlich prägt.

Für die, die schön sein wollen, mussten andere leiden. Denn die Operationen der Schönheitschirurgie – Rhinoplastik, Lidstraffung, Fettabsaugung – haben ihren grausigen Ursprung im Ersten Weltkrieg. Im Schlamm der Schützengräben verlor eine ganze Generation das Gesicht, bis ein furchtloser Arzt den Grundstein legte für eine neue, revolutionäre Disziplin … Lindsey Fitzharris erzählt packend und erkenntnisreich vom Leben dieses Mannes und dem Wert der menschlichen Züge.

© Klappentext: Suhrkamp Verlag

„Der Horror der frühen Chirurgie“ ist optisch schon mal ein Knaller. Mir gefällt das Cover richtig gut, es fügt sich in seiner Schlichtheit zum Thema ein und nimmt nichts vorweg. Es passt auch gut zum Vorgängerband „Der Horror der frühen Medizin“, was einem buchliebenden Menschen wie mir wichtig ist.

Lindsey Fitzharris gelingt es sofort, mich mit ihrem einzigartigen Schreibstil einzufangen. „Der Horror der frühen Chirurgie“ ist ein Sachbuch, liest sich aber nicht wie eins. Eher habe ich das Gefühl, einen Roman zu lesen, der mich mit in die Schrecken des beginnenden zwanzigsten Jahrhunderts nimmt und mir auf eine charmante Art den „Vater der plastischen Chirurgie“, Harold Gillies vorstellt.
Seine Pionierarbeit auf dem Gebiet der Gesichtsrekonstruktionen für verletzte Soldaten während des Ersten Weltkriegs ist so anschaulich und einnehmend geschildert, dass ich das Gefühl habe, dem berühmten Arzt selbst über die Schulter schauen zu können.
Lindsey Fitzharris beleuchtet die Arbeit von Harold Gillies auf eine ganz besondere Art und Weise, bringt mich der Person Gillies näher, ohne viel in sein Privatleben einzudringen. Der Fokus liegt klar auf der Chirurgie und wird verständlich beschrieben. Dabei schildert Lindsey Fitzharris den Werdegang von Gillies sehr interessant und untermauert diesen mit vielen Beispielen.

Der Mix aus kurz angerissenen Einzelschicksalen ist packend dargestellt. Sie sind so in den historischen Kontext eingebettet, dass sie eine Brücke zwischen den Problemen und den medizinischen Herausforderungen der damaligen Zeit schlägt. Besonders gut gefällt mir, dass Lindsey Fitzharris kurz die Hintergründe des Ersten Weltkrieges beleuchtet, was der Auslöser war und welche furchtbaren Entwicklungen dies nach sich zog. Dabei geht die Autorin sachlich mit der Thematik um und verzichtet auf Schuldzuweisungen. Stattdessen schaut sie auch links und rechts von den meisterhaften Leistungen Harold Gillies und berichtet von anderen Zeitgenossen verschiedenster Herkünfte, die ebenso zur weiteren Entwicklung der Chirurgie beitrugen und versuchten das Leid ihrer Patienten zu lindern.

Die geschilderten Schrecken des Ersten Weltkrieges sind brutal. Das sinnlose Gemetzel und die Schrecken für die Soldaten lassen mich beim Lesen schwer schlucken. Es zeigt so eindrücklich, wie grausam ein Krieg ist. Gleichzeitig schärft es mein Bewusstsein dafür, wie wenig entwickelt die damalige Medizin tatsächlich gewesen ist. Es berührt mich unglaublich zu lesen, mit welchen extremen Problemen die Mediziner zu kämpfen hatten. Alles war im Grunde ein reines Experimentieren, Penicillin und Antibiotika noch ein Fremdwort.
Völlig fasziniert hat mich auch die Tatsache, dass eine plastische Korrektur sehr zeitaufwendig war und manche Methoden schon vor 2.000 Jahren angewendet wurden. Lindsey Fitzharris springt immer mal wieder während der Erzählungen noch weiter in die Vergangenheit zurück, bringt Beispiele und stellt weitere Menschen vor. Dabei gelingt es ihr, das alles so geschickt in den Rahmen um Harold Gillies einzubetten, dass ich nie aus dem Lesefluss gerissen werde.

„Der Horror der frühen Chirurgie“ berichtet von vielen Personen und Jahreszahlen, das Wissen ist extrem geballt. Für mich ist das keine Lektüre zum schnellen Weglesen, da die Thematik sehr sachlich und ernst, aber gleichzeitig unglaublich unterhaltsam ist. Lindsey Fitzharris hat definitiv ein Talent dafür, die passende Atmosphäre zu erzeugen, sodass ich durchaus mal etwas zum Schmunzeln oder gar Lachen finde.
Obwohl sich Lindsey Fitzharris viel Mühe gegeben hat, fachliche Arbeitsweisen so einfach wie möglich zu beschreiben, fällt es mir bei manchen detaillierten Veranschaulichungen von chirurgischen Eingriffen schwer, ihnen zu folgen. Dazu habe ich zu wenig medizinisches Fachverständnis. Das gilt ebenso für die vielen medizinischen Begriffe. So komme ich manchmal nicht darum herum, selbst noch ein bisschen zu recherchieren, was ich aber nicht schlimm oder nervig empfinde.

Kleiner Tipp: Es lohnt sich am Ende einen Blick in die Anmerkungen zu werfen. Dort werden die im Text mit einer hochgestellten Zahl markierten Wörter noch ausführlicher erläutert. Meist verbirgt sich dahinter noch mehr Informatives, was ich sehr interessant und aufschlussreich finde.

Der Horror der frühen Chirurgie von Lindsey Fitzharris
© Foto: Monique Meier

Kurz gesagt:

Was dich erwartet:

Ein Sachbuch, welches sich nicht wie eins liest. Der Fokus liegt hauptsächlich auf Harold Gillies und seiner Pionierarbeit auf dem Gebiet der Gesichtsrekonstruktionen, gewährt aber auch Einblicke in eine Zeit, in der die Medizin generell noch in den Kinderschuhen steckte.

Lesen:

Unbedingt. Hochspannend, verständlich beschrieben und erklärt, nimmt Lindsey Fitzharris die Lesenden mit in eine Zeit, als chirurgische Eingriffe supergefährlich und oft sehr experimentell waren. Wissen in Unterhaltungsform, perfekt für alle, die gern mehr über die chirurgische Entwicklung erfahren möchten.

Weglegen:

Kann ich nicht empfehlen. Außer euch interessiert das Thema kein bisschen. Was aber schade ist, denn dieses Sachbuch ist meilenweit davon entfernt, staubtrocken zu sein.

Mal ehrlich:

„Der Horror der frühen Chirurgie“ ist ein superinteressantes Buch. Der Autorin ist es hervorragend gelungen, ein Sachbuch zu erschaffen, das trotz geballten (Fach-)Wissen sowie einer sehr hohen Personenanzahl und verschiedensten Jahreszahlen unterhaltsam und verständlich die Anfänge der plastischen Chirurgie näherzubringen. Die Mischung der Schilderungen ist dabei bunt, von ekelerregend – grauenhaft, über berührend – amüsant bis hin zur Einbettung von politisch-historischen Ereignissen. Ich werde mitgenommen in eine Zeit, als die Chirurgie und insbesondere die Pionierarbeit von Harold Gillies auf dem Gebiet der Gesichtsrekonstruktionen noch in den Kinderschuhen steckte.
Packend und aufwendig recherchiert beleuchtet Lindsey Fitzharris die Arbeit von Gillies, indem sie seinen Werdegang mit reichlich Einzelschicksalen unterfüttert, die eingebettet in den jeweiligen historischen Kontext aufzeigen, wie das Leben zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts war und wie grausam der Erste Weltkrieg das Leben der Menschen erschwerte. Besonders gefällt mir, dass zwar der Fokus auf Gillies liegt, aber die Autorin dennoch oft den Blick links und rechts schweifen lässt und auch andere bedeutende Mediziner erwähnt, die ähnlich wichtige Arbeit leisteten.
Manche Beschreibungen von chirurgischen Eingriffen sind mir zu ausführlich und unverständlich, gelegentlich gibt es paar Längen und Wiederholungen im Buch, die mich aber nicht weiter stören. Eher festigen sie das neuerlangte Wissen in meinem Gehirn und motivieren mich dazu, das Thema auch abseits des Buches zu verfolgen.

Fazit:

„Der Horror der frühen Chirurgie“ ist ein Sachbuch im Mäntelchen eines Unterhaltungsromans. Dadurch wird mir die Pionierarbeit von Harold Gillies mit all seinen Unwegsamkeiten und den historischen Hintergründen so lebendig erzählt, dass ich dieses sehr ausführlich recherchierte Sachbuch genossen und viel für mich mitgenommen habe.

*Das Buch ist überall im Handel erhältlich*

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