Nachdem lesen des ersten Bandes „Pirlo – gegen alle Regeln“ hatte ich ambivalente Gefühle dem Buch gegenüber. Auf der einen Seite gefiel mir der Plot, aber die Umsetzung nicht auf allen Ebenen. Dennoch war der Reiz da Band 2 kennenzulernen.

In meiner Rezension „Piro – Falsche Zeugen“ von Ingo Bott wird sich unter anderem zeigen, ob mich die Fortsetzung vollständig abholen konnte.


 

Pirlo - Falsche Zeugen von Ingo Bott
© Cover: Johannes Wiebel | puchdesign

Infos zum Buch
erschienen bei FISCHER Scherz
Veröffentlicht 10. August 2022
ca. 496 Seiten
Band 2 der Reihe Pirlo
erhältlich als Taschenbuch, Hörbuch und eBook
 

Klappentext

Zeugen gelten zu Recht als das unsicherste aller Beweismittel. Manchmal sagen sie die Wahrheit.

“Pirlo – Falsche Zeugen” ist der zweite Fall für Strafverteidiger Anton Pirlo und seine Partnerin Sophie Mahler von Strafverteidiger Dr. Ingo Bott

Rainer Waßmer ist tot. Er war der Anführer einer Nazi-Rocker-Bande, mit denen die Clan-Familien in Düsseldorf eigentlich bisher in friedlicher Ko-Existenz lebten. Bis jetzt. In der Nacht hatten sich Clans und Rocker ein kleines Gefecht geliefert. Nichts Ernstes. Nur mal klarstellen, wo jeder steht. Doch nun ist Waßmer tot, und Faruk Maliki, Thronfolger einer bedeutenden Clan-Familie, wird des Mordes beschuldigt. Er braucht dringend einen Anwalt. Oder eine Anwältin. Oder am besten gleich beide. Pirlo und Sophie suchen fieberhaft nach Beweisen, die ihren Mandanten entlasten könnten. Dabei geraten sie selbst in Lebensgefahr und zwischen die Fronten.

© Klappentext: FISCHER Scherz

Dies ist der zweite Band der „Pirlo“-Reihe und im Prinzip unabhängig von den Geschehnissen des Reihenauftaktes zu lesen. Allerdings wird in „Pirlo – Falsche Zeugen“ viel verraten, was sich vor rund einem halben Jahr zugetragen hat. Wer also „Pirlo – Gegen alle Regeln“ noch lesen möchte, der sollte mit dem Buch auch zuerst beginnen. Den Handlungen und Ereignissen aus „Pirlo – Falsche Zeugen“ könnt ihr aber auch ohne jegliche Vorkenntnisse folgen.

Die Gestaltung des Covers gefällt mir und passt gut zur Reihe. Auch die beiden Personen auf dem Cover haben Ähnlichkeit mit den beschriebenen Hauptcharakteren vom Strafverteidiger-Duo Anton Pirlo und Sophie Mahler.

Mir fiel der Einstieg ins Geschehen leicht, es ging zügig voran. Anfänglich hatte ich ein paar Schwierigkeiten, den Überblick bei einigen Familienmitgliedern von Faruk Maliki, dem Verdächtigen in einem Mordfall und Mandant von Pirlo und Sophie zu behalten. Ich konnte sie schlecht auseinanderhalten, das gelang mir aber im Verlauf des Buches immer besser.
Die betitelten Kapitel stimmten mich immer auf das Kommende ein, Zeit und oder Ortsangaben halfen mir eine gute Übersicht über die Entwicklung der Ereignisse in ihrem zeitlichen Ablauf zu erhalten. Manches ist auch mit einem Augenzwinkern zu verstehen, was dem Ganzen mehr Leichtigkeit und Lockerheit bringt.

Das Buch wird von zwei Handlungssträngen dominiert, die sich wunderbar ergänzen. Der auktoriale Erzähler beleuchtet einzig die Handlungen von Sophie Mahler und Anton Pirlo. Ich erfuhr nur, was sie erfahren, was sie aus welchen Gründen machen und welche Emotionen sowie Gedanken sie beschäftigen. Das gibt diesem authentischen Justizkrimi eine faszinierende Tiefe, die ebenso von den Charakteren lebt. Manche kenne ich noch aus dem ersten Fall des Strafverteidiger-Duos, andere kamen neu hinzu.

Bei Anton Pirlo bin ich immer noch unschlüssig, wie sehr ich ihn eigentlich sympathisch finden soll. Er ist ein Chaot, wie er im Buche steht, hat aber auch sehr reizvolle und einfühlsame Augenblicke, die ihn nahbar machen. Meisten jedoch hätte ich ihn schütteln mögen, während meine Sympathiepunkte für seine Kollegin Sophie Mahler beinah ins Unendliche stiegen. Hach, ich mag diesen Charakter sehr gern. Sie bleibt sich stets treu, auch wenn sie manchmal hadert. Sophie ist bodenständig, clever und verlässlich. Eigentlich das perfekte Gegenstück zu Pirlo. Aber eben nur fast, sie ziehen sich zwar gegenseitig an, stoßen sich aber auch fast sofort wieder ab. Aber das macht den Reiz ihrer Zusammenarbeit aus und das bringt jede Menge zackige Wortduelle, die so manche fiesen Seitenhiebe parat hatten, mit sich.

Der Schreibstil ist markant. Schnelle Sprache gepaart mit knackigen Sätzen und einer Alltagsarroganz, die den Nagel häufig auf den Kopf trifft. Dazu kommt ein bunter Mix aus Ironie, humorvollen Augenblicken, garniert mit gelegentlichem Sarkasmus. Abgerundet wird das ganze durch ein packendes Tempo, das mich zwischen Privatangelegenheiten der beiden Strafverteidiger und ihrem Job wie bei einem Tennismatch zackig hin und her fliegen lässt.
Dabei ist dieses Mal alles stimmig. Sogar Pirlos eigene Vergangenheit und mögliche Verstrickungen in familiäre Probleme, die mächtig Ärger bereithalten könnten.

Der Handlungsaufbau ist schlüssig und gut durchdacht. Alles beginnt als Pirlo in einem Casino auf seinen späteren Mandanten zum ersten Mal trifft. Der ihn vom ersten Augenblick an den letzten Nerv zu rauben droht. Und es endet mit einer packenden Hauptverhandlung, in der es ganz düster für die Verteidiger aussieht.
Zwischen drin wird genau erklärt, wie es wozu kam, nur nicht immer warum. Denn das müssen Pirlo und Sophie herausfinden.
Dies sorgt für überraschende Ereignisse, bringt Dynamik ins Geschehen und sorgt gleichzeitig dafür, dass die Vorgehensweise in Verbindung mit der mühevollen Arbeit der Strafverteidigung sowie ein kompletter Verhandlungsablauf schön veranschaulicht und leicht verständlich dargestellt werden. Passend zur Thematik werden auch die Clanstrukturen glaubwürdig dargelegt. So ergibt sich ein rundes Gesamtbild und ein wirklich spannender Justizkrimi, der sich so auch tatsächlich ereignen könnte.

Das Finale ist unglaublich packend für mich gewesen. Bis zum Schluss war ich mir nicht sicher, ob mein Misstrauen eines Charakters gegenüber gerechtfertigt gewesen ist. Immer wieder lockte mich Ingo Bott auf falsche Fährten und die Auflösung war überraschend, mein Verdacht jedoch goldrichtig.
Richtig gut gefallen hatte mir übrigens am Schluss die smarte Übersicht über die Grundzüge des Strafprozessrechts. Das war nicht nur interessant zu lesen, sondern rundet den Gesamteindruck von „Prilo – falsche Zeugen“ gelungen ab.

Pirlo - Falsche Zeugen von Ingo Bott
© Foto: Monique Meier

Kurz gesagt:

Was dich erwartet:

Das Strafverteidigungserfolgsteam Pirlo und Mahler haben einen neuen und sehr prekären Fall. Denn ihr Mandant, Nachfolger einer berüchtigten Clan-Familie, soll einen Rivalen getötet haben. Der Fall ist brisant und gefährlich, denn auch Pirlos Vergangenheit droht ihn dabei einzuholen.

Lesen:

Wer auf Anwaltsserien wie „Bull“ steht, findet hier ein passendes deutsches Äquivalent.

Weglegen:

Ihr müsst keine Profis im Strafrecht sein, solltet euch aber schon für Gerichtsverhandlungen interessieren können. Wenn nicht, solltet ihr zu einem anderen Krimi greifen oder doch noch einen Blick in die Leseprobe riskieren.

Mal ehrlich:

Ja, der liebe Pirlo und ich, das war keine Liebe auf den ersten Blick. Band 1 war für mich solide und ich hatte einiges zu kritisieren. Dennoch war ich auf den neuen Fall von Pirlo und seiner sympathischen Kollegin Sophie supergespannt und mega erleichtert, dass sich keiner meiner damaligen Nörgeleien hier wiederfinden ließ.
Stattdessen erwartete mich ein runder Justizkrimi, der es in sich hatte. Doch Vorsicht! Wer Band 1 nicht kennt, wird in den Schlüsselszenen bei diesem Band gespoilert. Ansonsten ist das Buch unabhängig zur Reihe lesbar.

Der auffällige Schreibstil ist geprägt von temporeichen, knackigen Sätzen, die reichlich Spuren verschiedenster Abstufungen von Sarkasmus und Ironie mit sich führen. Das schlug sich besonders in feurigen Wortduellen nieder, die auch gerne fiese Spitzen bereithielten. Aber auch die Beschreibungen des auktorialen Erzählers waren bisweilen ziemlich bissig und pointiert. Das hatte was.
Auch der Handlungsaufbau war dieses Mal stimmig und rund. Pirlos Vergangenheit, seine familiäre Herkunft, war schlüssig dargelegt und auch, welche Probleme sich daraus ergeben. Und ich danke dem Autor zutiefst, dass die schrecklichen Ausdrücke á la „Yalla“ und Co. nicht in Dauerschleife auf mich nieder prasselten. Nein, dieses Mal war es angenehm zu lesen und das Clanmilieu mit seinen Strukturen war nicht nur bildlich, sondern auch authentisch dargestellt.
Ebenso wie der packende Justizkrimi, der für sich genommen kein True-Crime im eigentlichen Sinn ist. Aber es könnte sich durchaus so ereignen, dass ein albanischer Nachfolger einer Clanfamilie in den Verdacht gerät einen Nazi-Rocker-Boss abzustechen. Der wiederum von Strafverteidigern vor dem Urteil lebenslänglich bewahrt werden will.
Ja, „Pirlo – falsche Zeugen“ konnte mich voll abholen. Es war superinteressant, so einen Fall nur aus der Perspektive der Verteidigung von Anfang bis Ende zu begleiten. Pirlo liebe ich zwar immer noch nicht, dafür aber die reizende Sophie. Sie ist klug und charismatisch. Und dennoch, ohne Pirlo würde diese Reihe keinen wirklichen Spaß machen.

Fazit:

Ein richtig toller und spannender Justizkrimi. Knackig wird vom Anfangsverdacht bis zum Finale in der Hauptverhandlung eine ganze Bandbreite an Ereignissen erzählt. Packend, unterhaltsam, authentisch.

*Das Buch ist überall im Handel erhältlich*

Lesetipp:

Lust auf einen Justiz-Thriller im Fernen Thailand?
Dann empfehle ich euch:
Geständnis eines Hochbegabten von Thomas Einsingbach