Ich kann mich noch an den riesigen Hype um Anatomy: Eine Liebesgeschichte erinnern. Denn gerade das Cover mit der Frau und dem Kleid, das wie ein Herz aussieht, war besonders in den sozialen Medien sehr präsent. Doch auch die Geschichte interessierte mich und so bekam ich das Buch letztes Jahr zum Geburtstag geschenkt.

In meiner Rezension „Anatomy: Eine Liebesgeschichte“ von Dana Schwartz werfe ich einen Blick auf die authentische Darstellung der Regency-Zeit und erzähle euch von meinen Leseeindrücken.


 

Anatomy: Eine Liebesgeschichte von Dana Schwartz
© Coverillustration: 2022 by Zachary Meyer
© Coverillustration: Umschlaggestaltung Johanna Mühlbauer

Infos zum Buch
erschienen bei Loewe Verlag
Veröffentlicht 7. Dezember 2022
Originaltitel Anatomy. A Love Story
Übersetzt von Cornelia Röser
Empfohlenes Lesealter: ab 14 Jahre
ca. 383 Seiten
Band 1 der Reihe Anatomy
erhältlich als Taschenbuch, Hörbuch und eBook
 

Klappentext

Tauche ein ins Edinburgh des Jahres 1817!

Eine Stadt, infiziert mit Geheimnissen. Und eine junge Frau, die sie seziert.

Lady Hazel Sinnett möchte unbedingt Chirurgin werden – was für sie als Frau jedoch unmöglich ist. Bis der Dozent Dr. Beecham sich auf einen Deal einlässt: Wenn sie die medizinische Prüfung ohne Unterricht besteht, darf sie bei ihm studieren. Zum Glück trifft die junge Frau auf Jack Currer – einen Auferstehungsmann, der Leichen ausgräbt und sie zu Lehrzwecken verkauft. Jack hilft Hazel nicht nur beim Lernen, sondern weckt auch ungeahnte Gefühle in ihr. Als sie an den Toten immer mehr Besonderheiten entdecken, finden sich die beiden plötzlich in einem Netz aus Geheimnissen und Intrigen wieder …

© Klappentext: Loewe Verlag

Anatomy: Eine Liebesgeschichte macht es mir leicht, ins Geschehen zu kommen. Ich habe sofort das Gefühl, in Edinburgh 1817 gelandet zu sein. Dana Schwartz gelingt es sehr leicht, die vergangene Zeit mit all ihren politischen, medizinischen und gesellschaftlichen Ansichten zum Leben zu erwecken.
Ihr Schreibstil ist dabei so herrlich locker und leicht, dass sich die Geschichte um Lady Hazel Sinnett zügig lesen lässt.
Auch die Gestaltung des Innenlayouts gefällt mir. Sie ist harmonisch zum auffällig schönen Cover abgestimmt und erweckt dadurch insgesamt einen edlen Gesamteindruck.

Lady Hazel Sinnett ist eine wissenschaftlich sehr interessierte junge Frau. Ihr großer Traum ist es, Chirurgin zu werden. Doch in der Zeit, in welcher Hazel lebt, ist dies beinahe lachhaft. Frauen als Ärzte undenkbar. So jedenfalls die Meinung der Adels- und höher gestellten Gesellschaftsschicht. Einheitlich sind sie der Meinung, dass Frauen wie Hazel lieber auf Bällen und bei Teegesprächen anzutreffen sein sollten. Das ist deren wahre Bestimmung. Schon bei solchen aufgeplusterten Aussagen tobt der Puls durch meine Adern. Gleichzeitig fängt Dana Schwartz so den damaligen Zeitgeist perfekt ein.
Hazels Ziel ist auf jeden Fall klar und da kommt ihr eine ganz besondere Annonce sehr gelegen. Der Leiter der Chirurgie, Dr. Beecham lädt zu einer kostenlosen Anatomievorführung ein. Doch Hazel kann nicht einfach dorthin gehen, ohne männliche Begleitung ist dies schlicht nicht möglich. Damit beginnt ein sehr spannendes Abenteuer rund um Medizin, Geheimnisse und romantischen Gefühlen.

Die Kapitellänge ist angenehm und gelegentlich werden die Kapitel durch einseitige, schwarz eingefärbte Seiten unterbrochen. Diese bieten unter anderem Platz für fiktive Zeitungsartikel, Reiseberichte, Briefe, Tagebucheinträge sowie Auszüge aus medizinischen Abhandlungen. Dies rundet Anatomy: Eine Liebesgeschichte richtig schön ab.
Erzählt wird Anatomy: Eine Liebesgeschichte vom personalen Erzähler, in dessen Fokus hauptsächlich Hazel steht. Allerdings lässt er auch kleine Perspektivwechsel und damit auch den Sprung in einen anderen Schauplatz zu. Das bringt Dynamik in die Geschichte.
Übrigens empfiehlt es sich nicht unbedingt während des Lesens zu essen. Gerade als ich genüsslich in ein Brötchen beißen möchte, entfaltet Dana Schwartz eine detailliert beschriebene Amputation eines Beines.

Der Titel Anatomy: Eine Liebesgeschichte kann zweideutig interpretiert werden. Hazels große Leidenschaft ist die Medizin, daher schlägt ihr Herz ganz klar liebevoll für sie. Gleichzeitig lernt sie den jungen Auferstehungsmann Jack Currer kennen. Er stiehlt Leichen vom Friedhof, um sie an die Gelehrten zu verkaufen. Obwohl sie beide aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten kommen, verbindet sie bald nicht nur Geschäftliches. Die Liebesgeschichte ist ganz zart geknüpft und gibt dem Ganzen eine schöne romantische Note. Dem gegenüber wird die Verlobung mit Hazel zu einem Sohn eines Viscounts gestellt. So wird deutlich, wie groß die Schere zwischen den einzelnen Gesellschaftsebenen war, was sich ganz klar auch in den Meinungsbildern und Denken widerspiegelt. Dies wird nochmals verdeutlicht, als Hazel beginnt, auch arme Menschen zu behandeln.

Ich mag Hazel und Jack sehr gern. Beide Charaktere sind sehr liebenswert. Zwar von der Persönlichkeit her ein bisschen zu blank poliert, aber irgendwie macht das auch den Reiz aus. Immerhin mangelt es der Geschichte nicht an unterschiedlichen Antagonisten, welche Dynamik und Leben in Anatomy: Eine Liebesgeschichte bringt.
Zudem kommen leichte Thrillerelemente wie das Rätsel um verschwundene Menschen und misshandelte Leichen vor. Nicht alles wird historisch korrekt abgebildet, ein bisschen Fantasie fernab der Realität ist auch mit dabei. Aber genau das mag ich, denn Anatomy: Eine Liebesgeschichte soll unterhalten und genau das macht Dana Schwartz hervorragend.

Bis zum Schluss ist mir zum größten Teil nicht klar, wie Anatomy: Eine Liebesgeschichte“ enden wird. Die Spannung nimmt immer mehr zu und die Auflösung rutscht leicht ins Fantastische ab. Mich stört das nicht, denn ich möchte keine medizinisch-historisch korrekte Abhandlung lesen. Insgesamt bin ich mit dem Ende, welches nicht alle Rätsel löst, zufrieden. Ich habe große Lust, den zweiten Band der Dilogie zu lesen und kann es kaum erwarten, wie es mit Hazel weitergehen wird.

Anatomy: Eine Liebesgeschichte von Dana Schwartz
© Foto: Monique Meier

Kurz gesagt:

Was dich erwartet:

Ein bisschen ist Anatomy: Eine Liebesgeschichte wie die moderne Variante von Frankenstein. Inhaltlich geht es um die Liebe zur Medizin und die aufkeimenden Gefühle zwischen zwei jungen Menschen. Lockerleicht erzählt gibt es einen bunten Genremix aus Fantasy, Medizin und historischem Regency-Setting.

Lesen:

Wenn es euch nicht stört, dass Anatomy: Eine Liebesgeschichte es mit dem historisch medizinischen Kontext stellenweise nicht so genau nimmt, dann erwartet euch eine spannungsvolle Geschichte mit zarter Romantik, einem mysteriösen Rätsel und jede Menge guter Unterhaltung.

Weglegen:

Euch gruseln Anachronismen? Dann solltet ihr euch lieber einer anderen Lektüre zuwenden.

Mal ehrlich:

An Anatomy: Eine Liebesgeschichte gab es letztes Jahr irgendwie kein Vorbeikommen und daher musste es eben auch bei mir einziehen.
Der lockere Schreibstil zieht mich sofort in seinen Bann und ich mag die Art, wie der personale Erzähler durch die spannende Geschichte führt. Im Fokus steht hauptsächlich Hazel, eine junge Lady, die 1817 den Wunsch hat, Chirurgin zu werden. Für viele Zeitgenossen ein wirklich lächerlicher Gedanke, sollte sie doch lieber auf Bällen ihre Aufwartung machen und eine gute Ehefrau werden. Doch der junge Auferstehungsmann Jack erkennt schnell das Potenzial von Hazel und so beginnt nicht nur ein aufregendes Abenteuer rund um Medizin, gestohlene Leichen und verschwundenen Menschen, sondern auch eine zarte Romanze.
Ja, vieles ist von der Einordnung her, besonders im medizinischen Bereich von Vorstellungen, Ereignissen, Dingen und Personen in einen falschen zeitlichen Kontext gesetzt worden, aber mal ehrlich, ich möchte ja keine wissenschaftliche Abhandlung lesen, sondern literarisch unterhalten werden. Das hier also gelegentlich Geschichtliches zurechtgebogen wird und auch Hazel ziemlich viele innovative Ideen mit gerade einmal siebzehn Jahren hat, geht für mich in Ordnung. Dafür passen das Setting, die Atmosphäre des Romans und auch die Charaktere perfekt. Es wird lebendig und anschaulich erzählt, sehr oft sogar mit einem schelmischen Augenzwinkern. Ich lieb´s und da kann mich auch das etwas fantastisch angehauchte Finale nicht erschüttern.
Übrigens solltet ihr beim Lesen keinen empfindsamen Magen haben und auch besser nicht nebenbei essen. So manche medizinische Behandlung ist sehr bildgewaltig.

Fazit:

Anatomy: Eine Liebesgeschichte hält eine tolle Mixtur aus Regency-Romance, Historical, minimaler Fantasy und Thriller bereit. Eine schöne Geschichte, um sich treiben und gut unterhalten zu lassen.

*Das Buch ist überall im Handel erhältlich*

Lesetipp:

Möchtet ihr wissen, wie es damals medizinisch wirklich um die Chirurgie stand?
Dann empfehle ich euch:
Der Horror der frühen Chirurgie von Lindsey Fitzharris