Dieses Buch ist eine waschechte SuB-Leiche. Dabei habe ich es damals gekauft, weil es mir so brennend weiterempfohlen wurde. Eine Story, welche unter die Haut gehen und mit einem Thema aufwartet, welches nicht nur unkonventionell, sondern auch moralisch sehr verwerflich sein soll.

In meiner Rezension „All die Finsternis inmitten der Sterne“ von Bryn Greenwood nehme ich euch mit in eine Geschichte, welche moralische Grenzen sprengt.

 

All die Finsternis inmitten der Sterne von Bryn Greenwood
© Cover: iStuck – druvo

Infos zum Buch
erschienen bei Festa Verlag
Veröffentlicht 28. August 2019
Originaltitel All the Ugly And Wonderful Things
Übersetzt von Simona Turini
Empfohlenes Lesealter: ab 16 Jahre
ca. 512 Seiten
erhältlich als gebundenes Buch und eBook
 

Klappentext

Als Tochter eines Drogendealers hat Wavy schon früh gelernt: Traue niemandem. Am wenigsten deinen Eltern. Die Achtjährige ist den schizophrenen Launen ihrer Mutter ausgeliefert und kümmert sich ganz alleine um den Haushalt und ihren kleinen Bruder. Frieden findet sie nur beim Betrachten des Sternenhimmels über den Feldern hinter dem Elternhaus. Und dort begegnet sie dem Riesen Kellen, dem tätowierten Ex-Häftling mit einem Herz aus Gold. Er erweckt in Wavy ein Gefühl, das sie inmitten ihrer Welt aus Gewalt und Vernachlässigung für unmöglich gehalten hat. Als eine Tragödie Wavys Familie auseinanderreißt, wird unter dem strengen Blick der Welt das, was Wavy so schön erscheint, auf einmal hässlich …

Provokant und einfühlsam erzählt Bryn Greenwood in ihrem Bestseller von zwei verlorenen Seelen und deren sonderbarer, ja unmöglicher Liebe. Eine schockierende und eindringliche Coming-of-Age-Geschichte, jenseits von Moral und Konvention.

FESTA MUST READ: Große Erzähler ohne Tabus. Muss man gelesen haben.

© Klappentext: Festa Verlag

All die Finsternis inmitten der Sterne ist optisch total schön. Elemente des Covers spiegeln sich im Innenlayout wider. Die Geschichte ist in vier Teile untergliedert. Diese sind im Layout des Covers gestaltet, sodass sie sogar am Buchschnitt sichtbar werden.
Die Kapitel sind durchnummeriert und mit Jahreszahlen und Namen der Personen gekennzeichnet, dessen Perspektive ich begleiten darf. Dies ist auch sehr wichtig, da es unglaublich viele Perspektiven in All die Finsternis inmitten der Sterne gibt. Im ersten Moment hat mich die Tatsache erschreckt, doch ich verliere nicht ein einziges Mal während des Lesens den Überblick.
Dies liegt zum einen an dem unglaublich vielschichtigen und wohlüberlegen Charakteraufbau. Alle Personen sind so individuell, dass ich sie alle genaustens auseinanderhalten kann. Es ist, als hätte mir Bryn Greenwood reale Menschen vorgestellt.
Zum anderen ist nichts in All die Finsternis inmitten der Sterne überflüssig eingeführt worden. Alles ist wichtig, um die Komplexität und die Tiefe der kompletten Geschichte zu erfassen. Das ist unglaublich wichtig, um das Spiel mit den konventionellen Grenzen der Gesellschaft zu verstehen und auch vor Augen geführt zu bekommen, wie verkopft die Gemeinschaft tatsächlich in Wahrheit ist.
Der Titel All die Finsternis inmitten der Sterne spielt dabei eine zentrale und wichtige Rolle. Tatsächlich muss ich aber gestehen, dass ich den Originaltitel All the Ugly and Wonderful Things, also All die hässlichen und wunderbaren Dinge noch treffender finde. Das fasst meiner Meinung nach die Geschichte perfekt zusammen.

Die einzelnen Kapitel haben eine angenehme Länge, sodass mich der Informationsgehalt nicht überfordert und die Geschehnisse zügig vorangetrieben werden.
Es gibt mehrere zeitliche Ebenen. Durch die Angabe der Jahreszahlen ist diesem Wechsel jedoch gut zu folgen. Wie schon erwähnt gibt es reichliche Perspektivwechsel und auch unterschiedliche Erzähler. Mancher Betrachtungswinkel wird aus der Ich-Form ausgeführt, bei anderen greift der personale Erzähler. Die Mischung ist stimmig und so lässt sich All die Finsternis inmitten der Sterne flüssig und absolut homogen lesen.

Ich werde sofort eingesaugt in Wavys Lebensgeschichte, die mich von der ersten Seite an sehr berührt. Mich wühlt Wavys Leben auf. Sie wird von den Eltern vernachlässigt, erfährt Gewalt und leidet unter einer Mutter, die neben Zwangsstörungen, besonders vor Keimen, auch noch stark drogenabhängig ist. Mitten in diesem Elend und dem ganzen Dreck macht die achtjährige Wavy Bekanntschaft mit dem erwachsenen Muskelprotz Kellen. Auch Kellen hat eine dunkle und gewalttätige Kindheit hinter sich und im Erwachsenenleben reichlich Probleme mit dem Gesetz. Dennoch hat er eine weiche Seite an sich und so schließen unter ungewöhnlichen Umständen die beiden Freundschaft. Ich begleite Wavy und Kellen durch die Zeit und kann dabei zusehen, wie inmitten der ganzen Düsternis und der bedrückenden Lebensumstände etwas Schönes und Reines erwacht.
Sterne spielen in Wavys Leben eine große Rolle und dieses Element zieht sich konsequent durch das Buch. Für Wavy sind sie so elementar, dass sich sogar ihr späterer Lebensweg darauf ausrichten wird.

All die Finsternis inmitten der Sterne ist eine ungewöhnliche Geschichte. Sie spielt schonungslos mit unserem moralischen inneren Kompass, mit gesellschaftlichen Werten und Normen sowie dem Drang wegzuschauen, wenn Hilfe wirklich nötig ist. Bryn Greenwood übt gnadenlos Gesellschaftskritik und zeigt auf, wie engstirnig wir geworden sind. Dort, wo etwas Gutes, etwas Schönes und Wundervolles entsteht, wollen wir, weil es nicht in die Norm passt, es unbedingt zerstören. Wir schwingen uns zu Richtern auf, obwohl uns die Personen, die es eigentlich betrifft, nicht darum gebeten haben. Wir wollen verändern, wo es keinen Grund gibt, dies zu tun, aber gleichzeitig sitzen wir in unserer eigenen Blase und helfen nicht genau dann, wenn es wichtig wäre.

All die Finsternis inmitten der Sterne nimmt mich emotional sehr mit. Es gibt kein Schwarz und Weiß, ich muss leise sein, um der Tragweite dieser Geschichte zu lauschen, sie zu erfassen und auch zu verstehen. Hier geht es nicht um Pädophilie. Auch wenn es den Anschein haben mag, aber wer das glaubt, liest All die Finsternis inmitten der Sterne nicht vernünftig und hat einen engstirnigen Horizont. Bryn Greenwood nimmt sich eines schweren und wichtigen Themas an. Mit jeder Zeile mehr leide und hoffe ich mit Kellen und Wavy. Wünsche mir Glück für die beiden und Verständnis von ihrer Mitwelt. Ich fürchte mich vor dem Ende des Buches, habe Angst, dass es mich zerstören könnte. Bis zum Schluss kann ich nicht erahnen, wie die Geschichte um Wavy und Kellen endet und als ich das Buch zuschlage, weiß ich eins genau: Dies ist ein Lesehighlight und sollte unbedingt von jedem gelesen werden.

All die Finsternis inmitten der Sterne von Bryn Greenwood
© Foto: Monique Meier

Kurz gesagt:

Was dich erwartet:

Eine facettenreiche Geschichte, in der aus einer physischer und psychischer Gewalt geprägter Kindheit dennoch Liebe erblühen kann, die mit Macht von moralgetriebenen und engstirnigen Menschen wieder zerstört werden könnte.

Lesen:

Wenn ihr bereit seid, eine so ungewöhnliche Liebesgeschichte zu lesen, dass ihr euren eigenen moralischen Kompass weiten müsst, um zu erfassen, wie inmitten von hässlichen Dingen etwas Wunderschönes entstehen kann.

Weglegen:

Wenn ihr auf gar keinen Fall über den Tellerrand blicken wollt und die Welt für euch nur aus richtig und falsch besteht.

Mal ehrlich:

Als ich zum ersten Mal eine Rezension zu All die Finsternis inmitten der Sterne von Bryn Greenwood las, war ich fasziniert und gleichzeitig vorsichtig. Würde der Tanz auf dem Drahtseil mich in den Abgrund ziehen oder ein Lesehighlight hervorbringen?

All die Finsternis inmitten der Sterne ist inhaltlich heikel und provozierend. Es regt zum Nachdenken an, berührt und ist erfüllt von einer rohen Intensität, die mich voller Emotionen zurücklässt.
Bryn Greenwood entwickelt eine Geschichte, die sich die wenigsten trauen würden zu erzählen. Ihre Art Wavys und Kellens Story zu erzählen, ist etwas Besonderes. Sie ist nicht von Sensationslust getrieben oder der Versuch, den Lesenden zu schockieren. Stattdessen sorgt die Autorin mit ihrem intensiven und tiefgehenden Handlungsaufbau, dass ich die Hauptpersonen lieben lerne. Sie sorgt für Verständnis für die Zwei, indem sie deren Lebens- und Leidensweg gefühlvoll erzählt. Bryn Greenwood tut das, was wir im normalen Leben nie tun. Sie zwingt mich dazu, ganz genau zuzuhören, zu begreifen, dass das, was ich lese, nicht abnormal oder krankhaft ist. Sondern dass sich diese Liebe aus etwas speist, dass viel mehr als gesellschaftliche Normen und Ansichten ist.
Die Geschichte von Wavy und Kellen hinterlässt ganz klar Spuren. Die emotionale Wirkung ist tiefgreifend und nichts, was ich mit Leichtigkeit abschütteln kann. Mich wühlt auf zu sehen wie zwei gebrochene Menschen, denen es an Fürsorge, Liebe und Zuneigung mangelte, zueinanderfinden. Ich wünsche mir oft, dass das Alter der Charaktere anders wäre, nicht Mädchen und Mann. Mit einem Altersunterschied habe ich kein Problem, in dieser der Konstellation schon. Aber Bryn Greenwood hat Fingerspitzengefühl und so wird aus etwas Problematischen etwas wunderschön Tragisches.
Auch sorgt die Autorin dafür, dass die expliziten Szenen nur angedeutet werden, ohne Detailfülle und erotischem Anstrich. Es wirkt beinahe sachlich und doch ist es emotional aufgeladen. Dieser Balance Akt zeigt, wie dünn das Seil ist, auf dessen Oberfläche diese mitreißende Geschichte balanciert.
All die Finsternis inmitten der Sterne erweitert den eigenen Horizont, wenn der Lesende dies zulässt. Es regt zum Diskutieren, zum Nachdenken und zum Mitfühlen an. Ich habe keine Idee, wie diese Liebesgeschichte enden könnte und je näher ich der letzten Seite komme, um so mehr Angst habe ich davor. es zu erfahren. Bryn Greenwood gelingt ein Schluss, der mich tief bewegt und dafür sorgt, dass ich diese außergewöhnliche Geschichte von Wavy und Kellen niemals vergessen werde.

Fazit:

All die Finsternis inmitten der Sterne hat die Macht, die Mauern der Moral auf eine ganz leise, beinah ehrfurchtsvoll zarte Weise zu zerstören. Es ist eine komplexe und sehr tiefgründige Liebesgeschichte, die mich sehr durcheinander und emotional erschöpft zurücklässt. Aber es lohnt sich, von der ersten bis zur letzten Seite!

*Das Buch ist überall im Handel erhältlich*

Lesetipp:

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