Bei einem Krimi, der auf wahren Begebenheiten beruht, kann ich nie widerstehen. Wenn auch noch Ernst Gennat, ein sehr bekannter und guter Ermittler zu Beginn des 20. Jahrhunderts dabei ist, dann muss ich das Buch einfach lesen. Das Leseexemplar habe ich im Rahmen einer Leserunde erhalten. Jetzt war ich sehr gespannt auf die Geschichte und den Fall der Martha Franzke.

In meiner Rezension zu
„Kommissar Gennat und die Tote im Reisekorb“
von Regina Stürickow
bewerte ich nach meinen Gesichtspunkten die Geschichte und beleuchte, ob sie sich zu lesen lohnt.

Kommissar Gennat und die Tote im Reisekorb von Regina Stürickow
© Umschlaggestaltung: Goscha Nowak

Infos zum Buch
erschienen im Elsengold Verlag
Veröffentlicht 17. Februar 2021
ca. 304 Seiten
Band 2 der Reihe Gennat-Krimi
erhältlich als Taschenbuch
Das Buch erschien bereits 2003 unter dem Titel Habgier im berlin.krimi.verlag
 

Klappentext

Berlin kriminell zur Zeit des Ersten Weltkrieges

Berlin 1916. Eine Frau ist ermordet worden, und ihre Leiche wurde in einem Reisekorb von Berlin nach Stettin geschickt. Der blutjunge Reporter Max Kaminski, kriegsuntauglich, ermittelt zusammen mit dem Kommissar Ernst Gennat in der Ackerstraße in Berlin-Mitte.

© Klappentext: Elsengold Verlag

„Kommissar Gennat und die Tote im Reisekorb“ fußt auf einem Fall, der die Berliner Öffentlichkeit 1916 tatsächlich bewegt hatte. Dementsprechend neugierig war ich auf die Umsetzung dieses Kriminalfalles, denn hierbei handelte es sich nicht um ein klassisches True Crime Buch, da es auch einige fiktive Handlungsstränge gab.

Gleich mit der ersten Seite begann Regina Stürickow den Lokalkolorit der Berliner Arbeiterklasse einzufangen und beschrieb eindrucksvoll dessen soziale Zustände. 1916 war wahrlich keine einfache Zeit für die Menschen und dies wurde authentisch vermittelt.
Die Unterschiede in den Gesellschaftsschichten stellte die Autorin gekonnt dar, indem sie in so manchen Dialogen auch die typische „Berliner Schnauze“ einflocht. So viel es mir relativ leicht, bei der Anzahl an vorkommenden Figuren den Überblick zu behalten.

Obwohl das Buch „Kommissar Gennat und die Tote im Reisekorb“ heißt, war der gute Ermittler nicht der eigentliche Hauptakteur. Im Wesentlichen begleitete ich die fiktive Person Max Kaminski. Ein junger Journalist, aufgrund eines Herzleidens wehruntauglich und der nun die Chance erhielt, gemeinsam mit dem allseits bekannten Kommissar zu ermitteln.
Mir war Max sehr sympathisch. Ein bodenständiger und sehr hartnäckiger Mann, der gute Ideen und Ermittlungsansätze hatte. Sie stießen aber sehr häufig nicht auf Ernst Gennats Zustimmung, was mir persönlich gefiel. Denn so erhielt ich einen Blick auf dessen Einstellung zur Ermittlungsarbeit und wie er an solche Fälle heranzugehen pflegte. Außerdem gelang es dadurch Regina Stürickow ein interessantes Porträt des berühmten Ernst Gennat zu zeichnen.

Kommissar Ernst Gennat nahm ich als eine Persönlichkeit wahr, der ziemlich durchsetzungsstark gewesen ist, aber gerne auch mal für einen kurzen Moment die Fassung verlor. Erstaunlich schnell fand er aber zu seinem angenehmen und freundlichen Wesen zurück. Ein gern gesehener Mensch, nicht nur von mir als Leser, sondern auch von den Menschen, die ihm tatsächlich begegnet waren.
Wilde Spekulationen, wie sie Max gerne zum Besten gab, waren definitiv nichts für den Kommissar, der nur Fakten sehen wollte. Dennoch entwickelten die beiden Figuren eine schöne gemeinsame Dynamik und es war spannend zu erleben, wie Max und dessen Frau Lizzy dazu beitrugen, den Fall Richtung Aufklärung zu treiben.

Obwohl die Geschichte relativ ruhig und ohne große Effekthascherei erzählt wurde, baute sich eine gute Spannung auf, welche sich bis zum Ende immer weiter steigerte. Durch den verständlichen und flüssigen Schreibstil gelang es Regina Stürickow leicht, mir ihr sauber recherchiertes historisches Wissen zu vermitteln und gönnte mir einen interessanten, authentischen und lebendigen Blick auf die Denk- und Lebensweise der Bevölkerung um 1916.

Insgesamt war das Buch schlüssig und nachvollziehbar aufgebaut worden. Meiner Meinung nach gab es am Anfang einen kleinen Logikfehler. Da er aber im weiteren Verkauf keine weitere Bedeutung mehr erhielt, konnte ich darüber locker hinwegsehen. Zudem gefiel mir sehr die detaillierte Ausarbeitung der deutschen Geschichte zu Zeiten des Ersten Weltkrieges, der dort vorherrschenden Missstände und der Ermittlungsarbeit der damaligen Polizeibehörde.
Das Ende war sehr gelungen und der Fall wurde vernünftig und ohne Hast aufgeklärt. Dennoch löste es einen Gänsehautschauer aus, denn die Brutalität des wahren Lebens war wirklich grausam.

Kommissar Gennat und die Tote im Reisekorb von Regina Stürickow
© Foto: Monique Meier

Kurz gesagt:

Was dich erwartet:

Ein Krimi, der auf wahren Begebenheiten beruht und zu Zeiten des Ersten Weltkrieges im Jahr 1916 spielt.

Lesen:

Wenn ihr gut recherchierte historische Krimis mit authentischem Hintergrund mögt, die ohne große Action auskommen.

Weglegen:

Wenn euch Geschichten über wahre Verbrechen eingebettet in einem fiktiven Rahmen nicht interessieren.

Mal ehrlich:

„Kommissar Gennat und die Tote im Reisekorb“ war ein Krimi, der gänzlich ohne dramaturgische Effekte auskam. Dies hatte er auch gar nicht nötig, denn Spannung erzeugte die Autorin mit ihren intensiv detaillierten Beschreibungen der Verhältnisse zu Zeiten des Ersten Weltkriegs in Berlin. Dabei zeigte sie besonders anschaulich die gravierende Kluft zwischen der Arbeiterklasse und der reichen Oberschicht auf. Dazu verwendete die Autorin einen interessanten Kunstgriff, denn die Menschen aus der Unterschicht sprachen in diesem Buch den typischen Berliner Dialekt. Am Anfang fiel es mir nicht so leicht, ihn gelesen zu verstehen, im späteren Verlauf jedoch hatte ich keinerlei Probleme mehr.
Meine Hoffnung, Ernst Gennat intensiv bei der Aufklärung des Falles über die Schulter zu sehen, erfüllte sich nur zum Teil. Der Krimi basierte zwar auf einem historischen Ereignis, jedoch waren einige Handlungsstränge fiktiv. Dazu gehörte eben jener mit dem Protagonisten Max Kaminski. Mit ihm erschuf die Autorin einen kriminalistisch interessierten jungen Reporter, der aus gesundheitlichen Gründen für wehruntauglich erklärt wurde. Er bekam aber die Gelegenheit, dem Kommissar Gennat bei seiner Arbeit über die Schulter zusehen und ihn bei der Lösung des Falles behilflich zu sein. So begleitete ich zwar hauptsächlich Max, kam aber dadurch auch der historischen Persönlichkeit Gennats näher.
Regina Stürickow blieb mit ihrem zum Teil fiktiven Krimi stets nah am realen Fall dran und ließ auch das Buch schlüssig zur damaligen Zeit ohne offene Fragen enden.

Fazit:

Ein ruhiger, dennoch spannend geschriebener Krimi, der auf einem authentischen Fall beruht und die damaligen Verhältnisse lebendig widerspiegelt. Interessant, historisch beeindruckend und auf seine eigene Art erschreckend brutal.

*Das Buch ist überall im Handel erhältlich*

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