Was passiert eigentlich mit einer Geschichte, wenn sie das Genre wechselt?
Was verändert sich generell, wenn ein/e Autorin ihr Buch neu überarbeitet?

Diese Fragen habe ich mir schon öfter gestellt.
Natürlich kann diese Frage nicht pauschal beantwortet werden. Nicht jeder Autor überarbeitet seine Geschichte so, dass sie gleich in ein anderes Genre geht. Manchmal sind es nur marginale Veränderungen. Schließlich entwickelt sich jeder Mensch im Laufe der Zeit weiter und perfektioniert dabei sein Handwerk. Das machen Autoren auch. Bei den kleineren Veränderungen schaut der Autor auf unglückliche Formulierungen oder ob etwas den Lesefluss stört. Dann wird das abgeändert. Die Geschichte selber verändert sich dadurch so gut wie gar nicht, außer, dass sie flüssiger zu lesen ist.
Bei einer kompletten Überarbeitung und erweiterter Neuauflage sieht das schon anders aus.
Was sich da im Detail verändern kann, möchte ich euch gern am Beispiel des Buches „Tigerlilie“ von Ivy Paul zeigen.

Tigerlilie – Verlagsversion im Vergleich zur Tigerlilie – Neuauflage

Was hat sich verändert? Was ist gleichgeblieben? Was hat mir besser gefallen?


Meine Vorbereitung:
Zu Beginn habe ich mir erst einmal Gedanken darum gemacht, wie ich an dieses Vorhaben am geschicktesten ran gehe. Immerhin bestand ja die Gefahr, dass ich nicht in der Lage sein würde, die beiden Bücher als getrennte Werke zu betrachten. Dabei war mir das aber besonders wichtig. Natürlich wollte ich Unterschiede herausfiltern, aber ich wollte auch jedes Buch für sich betrachten können, damit ich es auch als eigenständige Geschichte bewerten kann.
Also habe ich mich dazu entschlossen zuerst mit der Verlagsversion zu starten. Diese ist ja die Ursprungsversion. Danach habe ich einige andere Bücher, teilweise auch gleich ganz andere Genre, gelesen. So wollte ich ein bisschen Abstand gewinnen. Auch habe ich mir ein Lesetagebuch für Tigerlilie – Neuauflage angelegt, damit ich meine Sorgen, in Bezug auf die Veränderungen, im Vorfeld niederschreiben konnte. So hatte ich diese Gedanken aus dem Kopf und nun konnte ich mich komplett auf die überarbeitete Geschichte konzentrieren.

Auf den ersten Blick:
Natürlich lassen sich bei zwei Buchversionen schon auf den ersten Blick Unterschiede feststellen. Am auffälligsten sind die verschiedenen Covers. Weitere Abweichungen sind folgende:

Tigerlilie – Verlagsversion Tigerlilie – Neuauflage
erschienen: im Plaisir d´Amour Verlag bei Amazon Media EU S.à r.l.
veröffentlicht am: 01. Dezember 2011 12. April 2019
Seitenzahl: 200 267
Genre: erotischer Roman Regency Romance
Einzelband / Reihe: Einzelband Band 1 der The Wayward Gentlemen-Reihe
erhältlich: nur in gebrauchtem Zustand als ebook und Taschenbuch

Moment mal! Wo ist der Unterschied zwischen einem erotischen Roman und Regency Romance?
Wie der Name „erotischer Roman“ schon vermuten lässt, ist einer der wichtigsten Komponenten des jeweiligen Buches der Sex zwischen den Figuren. Dieser wird recht detailliert beschrieben. Je nach Autor erhält der Leser eine schöne und stimmige Rahmenhandlung mit dazu oder fast ausschließlich Szenen, in den sich die Figuren frivolen Spielen hingeben. Ein erotischer Roman kann in jeder beliebigen Zeit und an einem freigewählten Schauplatz stattfinden.

Regency Romance ist eine Unterart des Liebesromans und spielt in der Epoche des britischen Regency. Damit ist ein genauer Zeitraum abgesteckt, in denen die Geschichte spielen darf. Nämlich von 1811 bis 1820. Regency Romance zeichnet sich durch eine hohe Genauigkeit an geschichtlichen Details aus. Die Kernthemen sind soziale Gepflogenheiten und Sitten der damaligen Zeit. Die Hauptfigur gehört dem Adelskreis an und agiert dort entsprechend in ihm, also äußerst korrekt und beherrscht. Eine erotische Spannung kann auch hier durchaus präsent sein, jedoch wird diese nicht offensichtlich beschrieben.

© Cover: Andrea Gunschera
© Cover: Sabrina Dahlenburg

Auf den zweiten Blick:
Wagen wir nun mal einen zweiten Blick. Und zwar auf die beiden Geschichten. Wo liegen da die Unterschiede genau? Sind sie spürbar und inwieweit haben sie die Geschichte von Anna und Christopher verändert?

Was mir gleich zu Beginn aufgefallen ist, war die Tatsache, dass ich bei der überarbeiteten Version viel leichter in die Geschichte gekommen bin. Bei der Verlagsversion habe ich mich in den verschiedenen Adelstiteln und Namen verfangen und so war mein Einstieg in die Geschichte etwas holprig. Bei der überarbeiteten Fassung hatte ich hingegen keinerlei Probleme. Es war alles insgesamt flüssiger und runder erzählt.
Das zweite, was mir auffiel, war, dass sich auch manche Zitate an den Kapitelanfängen geändert hatten. Sie stammten nun nicht mehr alle aus China, sondern von beispielsweise Jane Austen. Die Zitate waren auch hier sehr passend zu den kommenden Handlungen. Da diese sich bisweilen verändert, teilweise sogar weggefallen oder neu hinzugekommen waren, fand ich die Lösung mit den neuen Zitaten sehr gut.
Die meisten gestrichenen Szenen haben mir nicht gefehlt, denn sie hätten in der überarbeiteten Version einfach nicht mehr stimmig ins Gesamtkonzept gepasst. Jedoch bedauere ich sehr, dass die erotischen Szenen zwischen Anna und Christopher weggefallen sind. Sie waren nicht nur schön beschrieben, sondern es war spürbar, wie die aufgeheizte Atmosphäre vor Leidenschaft vibrierte und knisterte. Auch spiegelten diese Szenen noch ein Stückchen intensiver das Feuer zwischen Anna und Christopher wieder. Durch den Wegfall fehlte mir ein kleines Bisschen die Würze, sozusagen.
Andere Szenen wurden nur leicht angepasst, sodass sie besser ins Gesamtwerk passten. Das fand ich vollkommen in Ordnung. Durch einige neu erschaffene Szenarien änderte sich in der überarbeiteten Version auch die Dynamik innerhalb des Buches. Es wurde alles ein bisschen ruhiger, insgesamt harmonischer und strukturierter. Die Neuauflage war nicht ganz so wild und ich konnte mehr das Ambiente genießen. Die Zeit um 1819 erwachte für mich noch ein kleines Bisschen mehr zum Leben, als in der Verlagsversion. Hier kamen die liebevollen historischen Details viel besser ans Licht.

Meine abschließende Meinung:
Ich mag beide Versionen.
Beide Geschichten haben ihren Reiz. Natürlich war spürbar, wie sich Ivy Paul in ihrem Schreibhandwerk verändert hat. Die Szenen in der Neuauflage waren einfach glatter, harmonischer und stimmiger. Aber gerade die Mischung aus Wildheit und viel Gefühl in der Verlagsversion, hat auch den Reiz der ursprünglichen Version ausgemacht. Ich könnte nicht sagen, welche Geschichte ich lieber gelesen hätte.
Vom Kern her ist der Plot gleich geblieben, die Verlagsversion und auch die Neuauflage unterscheiden sich in der Umsetzung. Beide Bücher haben ihren eigenen Charme und großen Unterhaltungswert.
Für mehr Details zu den einzelnen Geschichten schaut doch gern bei meinen Rezensionen vorbei:

Tigerlilie – Verlagsversion | Tigerlilie – Neuauflage

Wenn ihr gern erfahren möchtet, wie Ivy Paul bei der umfassenden Überarbeitung und Neuauflage von „Tigerlilie“ vorgegangen ist und wie es ihr damit ging, könnt ihr hier nachlesen:
[LINK AUTORENINTERVIEW EINFÜGEN].

Ich hoffe, dass euch der Beitrag gefallen hat. Wenn ihr mögt, hinterlasst mir doch einen Kommentar.

Liebe Grüße,
Mo