Da ich vom „Das Buch des Totengräbers“ so begeistert gewesen bin, war mir schon im Vorfeld klar, dass ich die Reihe um Leopold von Herzfeldt definitiv im Blick behalten würde. Daher wusste ich auch, wann das neue Buch erscheinen würde und klar, es musste sofort gekauft werden.

In meiner Rezension „Das Mädchen und der Totengräber“ von Oliver Pötzsch wird sich zeigen, ob mich auch der zweite Band überzeugen konnte


 

Das Mädchen und der Totengräber von Oliver Pötzsch
© Umschlaggestaltung: www.zero-media.net, München

Infos zum Buch
erschienen bei Ullstein
Veröffentlicht 31. März 2022
ca. 496 Seiten
Band 2 der „Die Totengräber-Serie“
erhältlich als Taschenbuch, Hörbuch und eBook
 

Klappentext

Geht in Wien ein tödlicher Fluch um?

Wien 1894: Totengräber Augustin Rothmayer wird von Inspektor Leopold von Herzfeldt um einen ungewöhnlichen Gefallen gebeten: Der kauzige Totengräber vom Wiener Zentralfriedhof, der jede Spielart des Todes kennt, soll ihm alles über das Konservieren von Verstorbenen erzählen. Es geht um Leopolds neuen Fall: Im Kunsthistorischen Museum wurde ein Sarkophag mit einer Leiche gefunden. Doch es handelt sich nicht um eine jahrtausendealte Mumie. Der Tote ist ein berühmter Professor für Ägyptologie, dessen Leichnam erst vor Kurzem nach altem Ritus präpariert wurde. Schnell wird spekuliert, der Professor sei einem uralten Fluch zum Opfer gefallen. Doch weder Rothmayer noch von Herzfeldt glauben an eine übersinnliche Erklärung. Sie sind sich sicher: Es war Mord!

Wiens charmantestes Ermittlerduo ist wieder im Einsatz.

© Klappentext: Ullstein

„Das Mädchen und der Totengräber“ passt optisch super zum ersten Buch. Die Engelsfigur mit einem Ausschnitt des historischen Wiens vermittelt schon einen Eindruck, wo die Geschichte spielt. Im Buchdeckel ist ein Kartenausschnitt von Wien um 1894, sodass jeder, der möchte, die Ereignisse auch grafisch nachvollziehen kann. Zudem gibt es zu Beginn ein Personenregister, sodass sich gut nachvollziehen lässt, welcher Charakter mitspielt und zu welchem illustren Kreis er gehört.
Am Ende gibt es noch ein kleines Glossar, dass die wichtigsten wienerischen Ausdrücke verständlich übersetzt.
Obgleich es sich hierbei um eine Serie handelt, können beide Bücher unabhängig voneinander gelesen werden. Manchmal gibt es kleine Andeutungen, was in „Das Buch des Totengräbers“ geschah, um den Kontext besser zu verstehen. Sie sind aber so formuliert worden, dass der Lesende nicht gespoilert wird und es immer noch möglich ist, Band 1 nachzuholen. Tendenziell würde ich aber empfehlen, zuerst das Auftaktbuch zu lesen, weil ein fester Figurenstamm auch „Das Mädchen und der Totengräber“ bereichert und sich die Charaktere weiterentwickelt haben. Dazu aber später mehr.

Der Einstieg in das Buch war dank des Prologs ziemlich aufregend. Mitten in der Wüste Ägyptens begleitete ich einen Ägyptologen, der durch Zufall ein Grabmal fand. So war ich gleich mitten im Geschehen und sehr gespannt, wie diese Vorkommnisse zu den Ereignissen zwei Jahre später passen würden.
Ich habe mich sehr gefreut, die lieb gewonnenen Charaktere aus dem ersten Band wieder zu treffen. Julia Wolf, gewohnt scharfsinnig und mit großer Menschlichkeit ausgestattet, ist nun Polizeifotografin. Wie schwer der Job in einer Männerdomäne ist, wird eindringlich vermittelt. Ebenso die Vorurteile, denen Julia ausgesetzt ist.
Generell ist Wien um 1894 durch ziemlich viel Voreingenommenheit geprägt. Das spürt auch regelmäßig Inspektor Leopold von Herzfeldt, der als jüdischer Piefke (negative Bezeichnung für einen Deutschen) dem Spott und Hohn seiner Kollegen und Vorgesetzten ausgesetzt ist. Vor allem, weil er die neuen Errungenschaften der modernen Kriminalistik an den Mann bringen soll.
Aber auch Homosexualität ist damals nicht gern gesehen und Fremdenfeindlichkeit an der Tagesordnung. Oliver Pötzsch gelingt es, durch seine intensiven Recherchen rund um diese sensiblen Themen eine authentische Atmosphäre des damaligen Wiens zu erzeugen, die Ignoranz sowie das Überlegenheitsgefühl einzufangen und durch das Einfließen geschichtlicher Hintergrundinfos einen Blick auf Vergangenes mit einer versteckten Mahnung zu ermöglichen. Außerdem mochte ich es sehr, dass Oliver Pötzsch zu den teilweise sehr bornierten Vorstellungen einiger Figuren auch Charaktere entwarf, die für ihre Zeit sehr weltoffen sind und den Blick auf das Wesentliche lenken, nämlich, dass jeder Mensch ein Mensch ist. Unabhängig vom Geschlecht, seiner Äußerlichkeiten oder seiner Herkunft. Das wiederum brachte auch scharfe Kontraste mit in die Erzählung.

Mein Lieblingscharakter ist und bleibt der kauzige Totengräber Augustin Rothmayer. Obwohl er wirklich manchmal sehr harsch in seiner Äußerung und sein Benehmen wirken kann, das Herz hat er definitiv am rechten Fleck. Sein neustes Buch, „Totenkulte der Völker“, dessen Auszüge ich ebenfalls lesen durfte, waren manchmal wieder nichts für schwache Nerven. Ich fand es aber sehr interessant, wie andere Kulturen mit den Verstorbenen oder dem Tod allgemein umgehen.
Ein wenig schade fand ich jedoch, dass er gar nicht so viel Raum innerhalb der Geschichte bekam. Daher finde ich persönlich den Titel etwas irreführend. Im Grunde müsste es eher heißen: „Die Mumie und der Piefke“ oder so.

Ich habe das Buch parallel gelesen und gehört. Beim Hörbuch sollte beachtet werden, dass es sich hierbei um eine gekürzte Fassung handelt. Das fand ich etwas schade, denn die Sachen, die ausgelassen wurden, sind ebenfalls interessant. Spannenderweise scheint das Hörbuch aktueller zu sein, denn ein inhaltlicher Fehler zum Totenglauben der Ägypter war im Hörbuch bereits korrigiert. Manchmal wurden auch Wörter durch Sinngleiche ersetzt. Das habe ich nicht ganz nachvollziehen können, tat der Geschichte aber an sich keinen Abbruch.
Generell kann ich das Hörbuch aber wärmstens empfehlen, denn Hans Jürgen Stockerl versteht es meisterhaft, der Geschichte Lebendigkeit zu verleihen. Er schaffte es, humorvolle Augenblicke genauso wirkungsvoll in Szene zu setzen wie schaurige Details und vor spannungstrotzende Ereignisse. Zudem gelang es mir hervorragend, die vielen Charaktere auseinanderzuhalten, da Hans Jürgen Stockerl seine Sprechweise auf die jeweilige Figur anpasste. Am herrlichsten fand ich den Wiener Dialekt, ich hatte immer das Gefühl, mitten in Wien um 1894 zu sein und den verschiedensten Charakteren über die Schulter zu blicken.

Generell lebt die Geschichte von vielen Perspektivwechseln, die alle durch den personalen Erzähler begleitet werden. Auch hier gab es für mich keine Probleme mitzuhalten, alles ist so schlüssig aufgebaut, dass ich spielend leicht folgen konnte.
Die Konstruktion der zwei Kriminalfälle ist gut ausgetüftelt. Der Mumien-Fall ist höchstinteressant, bis kurz vorm Ende habe ich das ganze Ausmaß nicht durchschaut. Ebenso erging es mir bei den Stricher-Morden, die besonders brutal gewesen sind. Hier braucht der Lesende definitiv einen starken Magen, denn manchmal waren die Beschreibungen schon detaillierter.

Ich mochte es sehr mitzuraten und habe „Das Mädchen und der Totengräber“ super gern gelesen und gehört. Es hat mir unglaublich viel Spaß gemacht, Leo über die Schulter zu schauen oder den knurrigen Rothmayer zu begleiten. Am meisten faszinierte mich jedoch die Komplexität, mit der die Geschichte aufgebaut wurde und dadurch viel Tiefgang erhielt.
Was dich erwartet: Zwei spannende Kriminalfälle in Wien um 1894, die der junge Inspektor Leopold von Herzfeldt mit den neuesten Methoden der Kriminalistik aufzuklären gedenkt. Dabei erhält er ungewollte Unterstützung vom eigensinnigen und kauzigen Totengräber Augustin Rothmayer.

Das Mädchen und der Totengräber von Oliver Pötzsch
© Foto: Monique Meier

Kurz gesagt:

Was dich erwartet:

Zwei spannende Kriminalfälle in Wien um 1894, die der junge Inspektor Leopold von Herzfeldt mit den neuesten Methoden der Kriminalistik aufzuklären gedenkt. Dabei erhält er ungewollte Unterstützung vom eigensinnigen und kauzigen Totengräber Augustin Rothmayer.

Lesen:

Wer authentische historische Romane liebt und die Kombination mit einem fiktiven Verbrechen zu schätzen weiß, findet hier sehr unterhaltsame und spannende Lesestunden.

Weglegen:

Oh, bitte, nicht weglegen. Das Buch ist so gut, aber wenn ihr keine Krimis eingebettet im historischen Kontext mögt, dann lasst das Buch liegen.

Mal ehrlich:

Ich liebe ja Romane, die einen wahren historischen Hintergrund haben. Eingebettet in den authentischen Wiener Lokalkolorit um 1894 erwarteten mich zwei verschiedene Kriminalfälle, die für spannungsvolle und interessante Lesestunden sorgten. Besonders mochte ich den Kontrast. Während der eine Fall im Milieu der Archäologie zu finden war und einen Bezug zu dem alten Ägypten herstellte, bot der zweite Fall eine Verbindung zum aktuellen Zeitgeschehen, indem junge Stricher ermordet wurden.
Am meisten freute es mich, die charakterstarken Figuren aus Band 1 wiederzutreffen, die sich weiterentwickelt hatten, aber nun mit neuen Problemen sowohl privater als auch beruflicher Natur zu kämpfen hatten.
Die Mischung aus modernen Ansichten und Ermittlungsmethoden sowie den engstirnigen und teilweise sehr menschenverachtenden Einstellungen einiger Figuren war sauber austariert, bot aber auch reichlich Zündstoff. Zudem verdeutlichte dies auch sehr klar, dass damals eben nicht alles besser war und dass das damalige Denken vollgespickt mit Rassismus gewesen ist.
Die Atmosphäre des Buches wirkte oft düster, war aber stets packend und hob die Gräueltaten in aller Deutlichkeit hervor. Ich war fleißig mit am Ermitteln und habe das Ganze erst zum Schluss so richtig durchschaut.
Hörbuchliebhaber kommen bei dieser Geschichte voll auf ihre Kosten. Hans Jürgen Stockerl verstand es meisterhaft, den Erzählungen so viel Lebendigkeit einzuhauchen, dass ich wirklich das Gefühl hatte, in jene Zeit abzutauchen und auf Verbrecherjagd zu gehen.

Fazit:

Ein historischer Kriminalroman, den ich mit leuchtenden Augen jedem wärmstens ans Herz legen kann. Hier stimmt wirklich alles. Spannende Unterhaltung, verzwickte Mordfälle, kauzige Charaktere und jede Menge packende Wendungen, die fest zu einem fesselnden Ermittlungsabenteuer zusammengeschnürt wurden.

*Das Buch ist überall im Handel erhältlich*

Lesetipp:

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