Eigentlich kann ich nicht genau sagen, was mich an dem Buch gereizt hatte, dass ich es lesen wollte. Es entspricht sonst nicht meinem üblichen Lesegeschmack, aber durch den Klappentext war ich extrem neugierig geworden. Alkoholismus ist mir natürlich ein Begriff, aber mit einer Co-Abhängigkeit konnte ich nicht besonders viel anfangen. Und so wollte ich ergründen, was genau das zu bedeuten hatte.

In meiner Rezension zum Buch “Rauschliebe” von
Karmen Jurela beleuchte ich, ob sich diese Geschichte meiner Meinung nach lohnt zu lesen.

Leseexemplar
❧ Dieses Buch habe ich als Freiexemplar von Karmen Jurela erhalten
❧ Vielen Dank an Annika Grützner von Literaturtest für die Vermittlung
❧ Meine Meinung ist davon unbeeinflusst

 

Rauschliebe von Karmen Jurela
© Cover: Catherine Strefford

Infos zum Buch
erschienen bei BoD – Books on Demand
Veröffentlicht 20. Februar 2020
ca. 260 Seiten
erhältlich als Taschenbuch und eBook

Klappentext

Das Berliner Revival einer alten Jugendliebe eskaliert zu einem Höllentrip aus Alkoholsucht, Co-Abhängigkeit, Obsession und Gewalt.
Während Pavlos immer tiefer in den Abgründen seiner Sucht versinkt, muss Stella sich von ihren eigenen verhängnisvollen Verstrickungen befreien, um zu ihrem Leben zurück zu finden.

Erstmals wird hier das verstörende Beziehungsmuster einer Co-Abhängigkeit aus der Perspektive einer Frau erzählt.

© Klappentext: Karmen Jurela

Anfänglich hatte ich so meine Probleme, in die Geschichte hineinzufinden. Die Art des Schreibens war unerwartet und eher wie ein innerer Monolog aufgebaut. Stella, die Hauptfigur in diesem sehr aufwühlenden und packenden Suchtdrama erzählte mir ihren Leidensweg mit der Liebe ihres Lebens, Pavlos. Dabei gab es so gut wie nie wörtliche Rede und auch keinerlei Kapitel. Es fühlte sich so an, als würde ich neben Stella auf dem Sofa mit einem Glas Wasser in der Hand sitzen und mir ihre Geschichte anhören. Als passive Zuhörerin.
So dauerte es eine Weile bis ich angekommen war, ihren Erzählungen und auch bis ich für mich herausfand, wann es sinnvoll war, eine Lesepause einzulegen. Denn die brauchte ich öfters, weil mich diese Schilderungen sehr mitnahmen.

Zu Beginn führte mich Stella weit in ihre Kindheit und Jugend zurück und beschrieb ihr Leben als Tochter einer kroatischen Familie in Deutschland. Als “zweite Generation” von Gastarbeitern also und verwob neben politischen Ereignissen auch gleich noch das Lokalkolorit jener Tage mit in die Erzählungen. So bekam ich ein gutes Bild von ihr und Stella war eine Figur, der ich Sympathien entgegenbrachte und deren Gefühle durchweg spürbar, greifbar und unglaublich berührend gewesen waren.

Stück für Stück entblätterte Stella wie grauenvoll eine Co-Abhängigkeit ist. Wie sie unbewusst Pavlos Alkoholsucht durch ihr Handeln zusätzlich aufputschte und selber unten den Auswirkungen dieser fatalen Krankheit anfing massiv seelisch und körperlich darunter zu leiden. Und beim Lesen wurde ganz klar, auch Stellas Verhalten enthielt Sucht-Aspekte. Denn sie konnte und wollte Pavlos nicht aufgeben. Ständig rechtfertigte sie sein Benehmen, das in einer Abwärtsspirale immer drastischer, brutaler und würdeloser wurde. Gleichzeitig ging es ihr immer schlechter und ich war fassungslos. Klar gab es die Momente, in denen ich einfach nur den Kopf schütteln musste, wenn sie wieder ganz verbissen darauf beharrte die Liebe ihres Lebens nicht im Stich zu lassen. Gleichzeitig war aber auch spürbar, dass wir Außenstehenden leicht reden haben. Wir können uns nicht einmal annähernd vorstellen, wie grausam diese Situation für die Betroffenen ist. Und warum sie immer tiefer und tiefer in diesen Strudel der Abhängigkeit hineingesogen werden.

Beeindruckend war für mich die Umsetzung des Themas. Nie hatte ich den Eindruck eine sachliche Abhandlung zu lesen oder mit wissenschaftlichen Erläuterungen gefüttert zu werden. Sondern ich nahm die Geschichte eher wie einen Tatsachenbericht wahr und ja, hier wurde nicht einfach was fiktional zusammengeschustert, sondern hier war echte Not und Leid enthalten. Stella selbst wurde nie anklagend, sondern zeigte ohne anklagende Wertung auf, dass Alkoholmissbrauch und Co-Abhängigkeit jeden treffen kann. Ob Akademiker, Mittelschicht oder die ganz armen Menschen, die Krankheit und seine hässlichen Konsequenzen scheren sich nicht um irgendwelche Titel oder Namen.

Mich hatte diese Geschichte nachdenklich und auch traurig gestimmt. Es war berührend zu lesen und ich könnte mir sehr gut vorstellen, dass Betroffene sich hier wiedererkennen und sogar für sich Erkenntnisse daraus gewinnen könnten.

Rauschliebe von Karmen Jurela
© Foto: Monique Meier

Kurz gesagt:

Was dich erwartet:

Eine Frau, die schleichend in eine Co – Abhängigkeit abrutscht, weil ihre große Liebe dem Alkohol verfällt. Sie selbst schildert den Prozess und den Kampf um die eigene Würde.

Lesen:

Wer unerschrocken ist und sich für das doch recht tabubehaftete Thema interessiert, wird hier eine aufwühlende, wertungsfreie und gut beschriebene Gefahr der Co-Abhängigkeit finden.

Weglegen:

Ihr lest Bücher nur um Unterhalten und nicht zum Nachdenken angeregt zu werden? Dann solltet ihr das Buch lieber nicht lesen. Denn es geht definitiv unter die Haut und wirft die entscheidende Frage auf: Wie willst du leben?

Mal ehrlich:

Das Buch empfand ich als sehr verstörend, aber im positiven Sinn. Alkoholismus ist kein unbekanntes Thema und jeder hat davon zumindest schon mal etwas gehört. Aber Co-Abhängigkeit war mir irgendwie kein Begriff. Und auch nicht, was das für die Betroffenen bedeutet.
Hier stieg Stella ein, deren einzige große Liebe Pavlos schwer alkoholabhängig ist. Sie bringt für ihn und ihren Glauben an diese Liebe so viele Opfer, dass es mir oft im Herzen wehtat. Eindrücklich, emotional und doch mit dem nachträglich nötigen Abstand erzählte sie mir selbst von der fatalen Co-Abhängigkeit. Was es mit ihr machte und dass das Wissen über diese Abhängigkeit noch lange nicht bedeutet, dass der Betroffene es begreifen oder gar für sich anwenden kann.
Stella erzählte ungeschönt wie krank die Beziehung zu ihrer großen Liebe Pavlos sie psychisch und physisch machte. Dabei zeigte sie auch auf, was es bedeutete, unbewusst selber so abhängig zu sein, dass sie scheinbar alles Verzeihen und sich die Realität rosarot zurechtbiegen konnte.
Diese Geschichte empfand ich unheimlich glaubwürdig und obwohl Stella eher einen Monolog führte, denn wörtliche Rede gab es kaum und Kapitel schon gleich gar nicht, ließen sich die Ereignisse flüssig und gut lesen.

Fazit:

Alkoholismus und die damit zusammenhängende Co-Abhängigkeit wird leider viel zu wenig thematisiert. Hier in diesem Buch wurde sie in Romanform lebendig aufgefächert, erklärt und vorurteilsfrei mit ganz vielen Emotionen an mich transportiert. Mitreißend, erschreckend und doch so wichtig es zu lesen.

*Das Buch ist überall im Handel erhältlich*

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